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Hausärztliche Praxis

In den Bergtälern sind Hausärzt:innen oft die ersten Ansprechpersonen bei Gesundheitsfragen. Mit ihrer umfassenden medizinischen Betreuung und persönlichen Nähe sind sie wichtige Anlaufstellen und Vertrauenspersonen in abgelegenen Regionen.

Der Weg zur hausärztlichen Praxis

Zu Beginn der 1980er-Jahre wurden in Graubünden und in der Surselva viele neue Praxen eröffnet, weshalb der Kanton ein «Karenzjahr» einführte. Wer eine eigene Praxis eröffnete, durfte im ersten Jahr nicht über die Krankenkassen abrechnen und musste de facto gratis arbeiten...

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Im Bündner Oberland gab es vor 1700 keine Ärzte. Die Menschen stützten sich auf Selbstversorgung, eigenes Erfahrungswissen und traditionelle Volksmedizin. Wussten sie nicht weiter, wandten sie sich an handwerklich ausgebildete Chirurgen oder Heilpraktiker:innen.

Umherreisende Chirurgen, auch Wundärzte genannt, schnitten gleichzeitig Haare und Bärte, zogen Zähne oder richteten Knochenbrüche. Mönche der Abtei Disentis behandelten Kranke und Verletzte und betrieben eine Klosterapotheke. Diplomierte Ärzte mit Universitätsstudium waren selten und wurden als «Buchärzte» bezeichnet. Die wenigen Wohlhabenden liessen bei schweren Erkrankungen Ärzte aus Chur in die Surselva kommen.

Ende des 19. Jahrhunderts gab es im Kanton Graubünden auf 96’326 Bewohner:innen 178 Hebammen, 68 Ärzte, 5 Zahnärzte und 10 Apotheken. Wohnte ein Arzt in der Region, schlossen einige Gemeinden Wartgeldverträge für wöchentliche Touren ab, um auch Personen in abgelegenen Orten zu versorgen.

Professionalisierung des Ärztestandes

Zwei Jahre nachdem Graubünden 1803 formell ein Schweizer Kanton geworden war, entstand der Sanitätsrat, der über Ärztezulassungen entschied. 1820 gründeten Ärzte die «Ärztliche Gesellschaft des Kantons Graubünden». Fünfzig Jahre später regelte der Bund die Ausbildung und Zulassung gesamtschweizerisch. Es brauchte nun ein eidgenössisches Diplom einer medizinischen Fakultät in Basel, Bern, Genf oder Zürich, um als Arzt/Ärztin praktizieren zu können.

Der Alltag als Landärzt:in

Ärzt:innen deckten alle medizinischen Disziplinen ab, machten Hausbesuche und wurden zu Unfällen gerufen. Die Wege waren oft schlecht ausgebaut, sodass sie zu Fuss, mit der Pferdekutsche oder auf Skiern unterwegs waren. Der Ausbau der Strassen und die Zulassung von Autos 1925 in Graubünden erleichterten die Arbeit.

Spezialisierung und Akademisierung

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spezialisierte sich die klinische Medizin. 1966 erhielt auch die Hausarztfunktion einen Spezialtitel, und zwar den Facharzttitel für Allgemeine Medizin.

Zu Beginn der 1980er-Jahre wurden in Graubünden und in der Surselva viele neue Praxen eröffnet, weshalb der Kanton ein «Karenzjahr» einführte. Wer eine eigene Praxis eröffnete, durfte im ersten Jahr nicht über die Krankenkassen abrechnen und musste de facto gratis arbeiten.

Hausarztmangel heute

Heute herrscht wieder ein Mangel an Hausärzt:innen, besonders in ländlichen Gebieten. Gründe sind unter anderem die hohe zeitliche Belastung. 2014 wurde die Förderung der Hausarztmedizin in der Verfassung verankert, was zeigt, wie wichtig der Bevölkerung eine gute medizinische Grundversorgung ist. Das Bündner Stimmvolk stimmte mit 89% für die Vorlage.

Sprechstunden

Bis vor wenigen Jahren waren Hausärzt:innen jederzeit erreichbar. Sie galten als Vertrauensperson in schwierigen Lebenssituationen und ihre Arbeit ging oft über die rein medizinische Behandlung eines Gesundheitsproblems hinaus. In abgelegenen Orten ging der Arzt oder die Ärztin zu den Kranken. Die Sprechstunde fand bei den Menschen statt.

Die Gemeinde Brigels hatte im obersten Stockwerk des Schulhauses ein Zimmer für die Sprechstunde im Dachgeschoss eingerichtet und eine Wartezone davor.

Das Sprechstundezimmer verfügte über eine Liege für die Patient:innen und eine Ablage für Arztkoffer und Instrumente.

Auf dem Tisch im Sprechzimmer liegt das Blutdruck-Messgerät des Trunser Arztes Pius Tomaschett.

Zwischen 1900 und 1925 war das Autofahren im Kanton Graubünden verboten. Der Disentiser Arzt Leo Condrau kaufte sich zu früh ein Auto und hoffte vergebens auf eine baldige Aufhebung des Verbots. So verkaufte er sein Auto wieder und liess es mithilfe von Pferden über die Kantonsgrenze zum neuen Käufer bringen.


Bündner Ärztinnen

Unter den 13 Ärzten, die 1820 den Bündner Ärzteverein gründeten, war keine Frau. In der Festschrift zum 100-Jahr Jubiläum des Vereins ist ebenfalls keine Ärztin erwähnt. Aber auch wenn man sie ein wenig suchen muss, es gibt sie schon länger, die Bündner Ärztinnen. Pionierinnen waren Dr. med. Emilie Lendi sowie Dr. med. Emmy Cathomas-Meyer.

Dr. med. Emilie Lendi (1870–1925) war die erste diplomierte Ärztin Graubündens und führte ab 1895 eine Praxis in Samedan.

Zu den ersten gehörte auch Dr. med. Emmy Cathomas-Meyer (1881–1972). Sie stammte aus Chur, wuchs in Zürich auf und bestand 1907 das Staatsexamen.

Dr. med. Emmy Cathomas-Meyer begann ihre Tätigkeit im Spital Neumünster (ZH). Das Foto zeigt sie (Mitte) im Kreis von Neumünster Diakonissen. Sie erhielt 1909 die Bündner Praxiserlaubnis. Auch half sie mit bei der Realisierung des heutigen Regionalspitals Surselva in Ilanz.


«Frau Doktor» - die Praxismanagerin

Die Arbeit in einer Praxis ist Teamarbeit. Nicht selten stellte die Ehefrau – «Frau Doktor» – sicher, dass in der Praxis alles reibungslos funktionierte. Gleichzeitig kümmerte sie sich um die Kinder und den Haushalt. Sie hielt so dem Arzt (und Vater und Ehemann) den Rücken frei.

Sie verantworteten die Abrechnungen und Finanzen, planten die Sprechstunden und den Praxistagesablauf. Manche Ehefrauen von Landärzten waren ausgebildete Praxisassistentinnen.

Sie entnahmen Blut, verabreichten Spritzen, kümmerten sich um die Medikamentenabgabe und waren für Röntgen und Laboruntersuchungen zuständig. Im Notfall und bei Abwesenheit des Arztes sprangen sie auch mal als Stellvertreterin ein, machten eine Spitaleinweisung oder sonstige Abklärungen.

Bis in die 1990er-Jahre wurden in vielen Arztpraxen die Abrechnungen und die Buchhaltung von Hand gemacht. Dann erleichterten Computer die Arbeit.

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