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Geburtshilfe

Seit den Anfängen der Menschheit leisten Frauen Geburtshilfe. Mit ihrem Wissen rund um Schwangerschaft, Geburt und Frauengesundheit spielen Hebammen seit jeher eine bedeutende Rolle in der Gesellschaft.

Die Hebamme - die «weise Frau»

Ihr Wissen und ihre verantwortungsvolle Tätigkeit rund um Leben und Tod hat den Hebammen nicht nur Respekt, sondern auch Misstrauen eingetragen...

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In Graubünden war Hebamme der erste Frauenberuf, der staatlich reglementiert war. Mit der medizinischen Entwicklung hat sich das Arbeitsfeld der Bündner Hebammen in den letzten 200 Jahren stark gewandelt.

Privilegien und Pflichten

Ihr Wissen und ihre verantwortungsvolle Tätigkeit rund um Leben und Tod hat den Hebammen nicht nur Respekt, sondern auch Misstrauen eingetragen. Wohl um diese «weisen Frauen» – wie die Geburtshelferinnen auch genannt wurden – besser unter Kontrolle zu haben, setzte der Staat schon früh Regeln, aber auch Privilegien fest, zum Beispiel steuerrechtliche Vorteile.

In Chur erhielten Hebammen seit dem 17. Jahrhundert finanzielle Zahlungen für ihren Dienst. Im Gegenzug wurden sie verpflichtet, aussereheliche Schwangerschaften zu melden. Hebammen waren angewiesen, während der Geburt ein «Geniessverhör» durchzuführen, um den Vater eines Kindes zu ermitteln. Immer wieder mussten sie auch vor Gericht aussagen, wenn Frauen deswegen vorgeladen wurden.

In katholischen Regionen war die Nottaufe ein ausserordentliches und altes Recht der Hebammen. Wenn sie ein Neugeborenes als nicht lebensfähig einstuften, durften sie das Kind taufen.

Hebammenschule und Reglemente

1808 gründete der Kanton eine Hebammenschule und jede Gemeinde war verpflichtet, eine Hebamme ausbilden zu lassen. Mit je einer Hebammenschülerin aus Sumvitg und Vals gehörte die Surselva zu den ersten Regionen, die Hebammen ausbilden liessen (1809 bzw. 1810).

1820 erliess der Kanton die erste Hebammeninstruktion. Darin wurden die Kompetenzen geregelt und die Aufgabenbereiche der Hebammen gegenüber der Ärzteschaft eingegrenzt. Im Alltag sah es oftmals anders aus. In den abgeschiedenen Tälern des Kantons gewährleisteten Landhebammen praktisch die gesamte Gesundheitsversorgung in ihrem Dorf.

Hebammen organisieren sich

Die hohe Arbeitsbelastung, die medizinischen Anforderungen und die grosse Verantwortung schlugen sich nicht in der Entlöhnung nieder, Hebammen verdienten wenig. Auch ihre Ausbildung sollte verbessert werden. Solche Anliegen führten 1894 zur Gründung des «Schweizerischen Hebammenvereins» (heute Hebammenverband), die Gruppe Graubünden folgte 1919.

Das Arbeitsfeld im Wandel

In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wurden Hausgeburten seltener und immer mehr Kinder kamen im Spital zur Welt. Die pränatale Diagnostik verbesserte sich. Schwangerschaft, Geburt und Wochenbett wurden immer mehr als krankheitsähnliche Zuständen verstanden. Die Hebammen verloren weiter an Kompetenzen und die Betreuung beschränkte sich auf «normal» verlaufende Geburten.

Zu allen Stunden

Hebammen wurden zu jeder Tages- und Nachtzeit und bei jedem Wetter gerufen. Sie arbeiteten zusätzlich auf dem familiären Hof oder in Kleinbetrieben und hatten eigene Kinder. Ihre Arbeit prägte das Familienleben. Eine Hebamme war oft abwesend. War sie zu Hause, kamen Menschen vorbei, die medizinischen Rat oder erste Hilfe benötigten.

Als Hebamme von Brigels war Maria Ludivina Camartin zwischen 1936 und 1989 (53 Jahre lang!) im Einsatz. 1303 Kindern hat sie in dieser Zeit auf die Welt geholfen. Sie legte weite Strecken auch in unwegsamem Gebiet zurück – zuerst mit dem Velo, dann mit der Vespa (eine Sensation!) und ab den 1960er-Jahren mit dem Auto.

Die Arbeit der Hebamme – bei der es oft um Leben und Tod ging – hatte Priorität vor der Familie. Hebammen wie Maria Ludivina Camartin wurden oft plötzlich zu einer Geburt oder einem Notfall gerufen. Für die Kinder war das nicht immer einfach. Tochter Florentina hat ihre Mutter oft vermisst.

In einem Köfferchen hatte die Hebamme alles dabei, was sie brauchte, wenn sie die Frauen zu Hause aufsuchte. Seit 1850 erhielt sie vom Kanton folgende Gegenstände: Eine Klistierspritze, einen Katheter, einen Aderlassschnepper, verschiedene Tinkturen, das Hebammenlehrbuch und ein Notizbuch, auch Hebammentagebuch genannt, in das sie Tag und Stunde der Geburten eintrug.


Zwischen Kompetenz und Kontrolle

Hebammen genossen den Respekt und das Vertrauen der Bevölkerung. Ihr Wissen über tabuisierte Themen wie Sexualität, Verhütung und Abtreibung weckte aber auch Ängste. Es wurde deshalb versucht, ihre Macht bzw. ihre Kompetenzen einzuschränken.

Hebammen wurden der Magie und der Ketzerei verdächtigt und gerieten so auch ins Visier der Hexenverfolgung. Aus der Surselva sind zwei Anklagen gegen Hebammen im 17. Jahrhundert bekannt.

Mit dem Aufkommen der akademisch ausgebildeten Ärzteschaft im 19. Jahrhundert verloren die Hebammen zusehends an Kompetenzen und wurden der Autorität und Kontrolle der Ärzte unterstellt. Dies widerspiegelt sich auch in zeitgenössischen Fotografien, wie hier beim «Hebammenkurs» in Aarau 1903.

Diese Entwicklung setzte sich im 20. Jahrhundert fort. Immer mehr Geburten fanden im Spital statt und die Zahl der Kaiserschnitte stieg auch in der Surselva. Das Regionalspital Ilanz eröffnete 1979 eine geburtshilfliche Abteilung.

Haus- und Geburtshausgeburten werden seit einiger Zeit wieder nachgefragt. Seit 2020 gibt es im Kanton Graubünden wieder ein Geburtshaus in Untervaz. Das Geburtshaus in Jenins schloss 2013 wegen Hebammenmangels, und auch das 2004 gegründete Geburtshaus Engadin existiert nicht mehr.

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